von Melanie Bock
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15. Juni 2025
Es gibt einfache Theaterabende – und künstlerisch umwerfende Abende mit bleibenden emotionalen Eindrücken, die mitten ins Herz treffen und sich für die Ewigkeit einbrennen. Für solch einen Abend muss man Enrique Gasa Valga und seinem Cast einfach danken, die im Deutschen Theater München am 29.05.2025 ihre Premiere feierten. Zu sehen gab es eine Hommage – und ein regelrechtes Seelenporträt – von Romy Schneider, einer österreichischen Deutschen, die zur Französin mit Hollywood-Format wurde. Bereits die ersten Minuten lassen erahnen, dass dies kein leichter Nostalgieabend und nicht bloß eine Aneinanderreihung biografischer Stationen wird. Beängstigend, unbehaglich und zugleich sehr ergreifend startet das Stück mit dem – für Romys Leben und ihre erste große Rolle als Sissi – wichtigen Bezug zur damaligen Zeit des Nationalsozialismus. Noch ahnt die junge Schauspielerin nicht, dass sie im Grunde nur dazu instrumentalisiert wird, die kollektive Erinnerung an die Rolle Österreichs zur Zeit des Holocausts auszulöschen und durch eine fiktive, heile Filmwelt verblassen zu lassen. Dieses wunderbare Tanztheater erscheint als tiefempfundener künstlerischer Versuch, dem inneren Erleben einer Frau gerecht zu werden, deren Leben zerrissen war – zwischen privaten Tragödien und beruflichen Erfolgen. Es zeigt die Bandbreite zwischen ihren schauspielerisch wichtigsten Stationen und ihren - auf persönlicher Ebene – privaten und herzzerreißenden dunkelsten Momenten: Der Bogen wird gespannt von ihrem strahlenden Karrierestart als Sissi, der Beziehung zu ihrer ersten großen Liebe und Trennung von Alain Delon („Swimming Pool“), über die Heirat und Scheidung mit dem erfolgreichen und renommierten Theaterregisseur Harry Meyen – mit dem sie ihren Sohn David bekommt und der sich im Jahr 1975 das Leben nimmt – bis hin zu ihren Partnerschaften mit Daniel Biasini, dem Vater ihrer Tochter Sarah, und schlussendlich auch zu Laurent Pétin. Mit ihm ist sie zusammen, als am 05. Juli 1981 ihr gerade erst 14-jähriger Sohn David stirbt: das Unglück passiert, als er über einen Eisenzaun klettert, dabei das Gleichgewicht verliert, stürzt und von den Eisenspitzen aufgespießt wird. Die enorme Spannung, die extreme Emotion und das tiefe Unglück werden für das Publikum spürbar – man wird von der unglaublich emotional-berührenden Körpersprache und der Choreografie der Darsteller:innen aus dem Cast von Enrique Gasa Valga einfach mitgerissen. Camilla Danesi verkörpert Romy Schneider mit einer unglaublich feinfühligen Leichtigkeit und Hingabe. Ihre Romy ist nicht nur eine einfache Figur, sondern reines künstlerisches Empfinden. Eine Ahnung von dem, was wirklich in dieser Frau vorging. An ihrer Seite tanzt Chiara Malavasi als Romys Schatten – nicht als Bedrohung, sondern als ständiger Begleiter und Spiegel ihrer selbst. Malavasi gelingt es, jene innere Stimme, die Romy zeitlebens in sich trug, in fließende, spürbare Emotionen und Bewegungen zu übersetzen: ein Flüstern, ein Aufschrei, ein Rückzug. Ihre und Camillas gemeinsame Szenen gehören zu den tragischsten und mitreißendsten des gesamten Abends dieser wundervollen Premiere. Wenn Lara Brandi als Magda Schneider auftritt, spürt man das ambivalente Band zwischen Mutter und Tochter – aus Nähe, Prägung und dem nie erfüllten Wunsch nach wahrer Anerkennung. Ein Gefühl, welches auch im Kontext eigener Erinnerungen tiefe Emotionen auslösen und zu Tränen rühren kann - und genau deshalb sicher auch die Herzen vieler Mütter und Töchter im Publikum ein weniger schneller Schlagen und die Stimmung noch einmal um einiges trauriger werden lässt: weil man es fühlen kann. Was „Romy“ so besonders macht, ist die sensible und intuitive Regie von Enrique Gasa Valga. Er verzichtet auf Überinszenierung und schafft stattdessen atmosphärische Bilder, die nachwirken. Immer wieder eingebunden wird Musik aus Romys Filmen – wie zum Beispiel die Titelmusik von „Les Choses de la Vie“ / „Die Dinge des Lebens“ von Philippe Sarde (1969) oder „La Bohème“ von Charles Aznavour (1965) – unterstützt von Romys echter Stimme in Form von Interviews und Audioaufnahmen. Man kann einfach nicht anders, als sich vollkommen von der Stimmung und der Musik dieser wunderbaren Inszenierung mitreißen zu lassen. Bühnenbild und Lichtführung unterstreichen die Ambivalenz von Ruhm und Einsamkeit, von Glanz und Dunkelheit. Jeder Szenenwechsel wirkt durchdacht, jede Bewegung erzählt. Der Cast agiert auf höchstem tänzerischen Niveau – präzise, ausdrucksstark und doch nie kühl. Man tanzt nicht nur, man fühlt. Dieses Stück ist eine Annäherung sowie auch eine liebevolle, respektvolle und künstlerisch kluge Verneigung vor einer starken Frau, deren Leben weitestgehend in der Öffentlichkeit stattfand, deren Schmerz jedoch allzu oft im Verborgenen blieb. „Romy“ zeigt: Tanz kann erzählen, heilen und erinnern. Am Ende des Abends verlässt man den Saal bewegt. Nachdenklich. Und mit dem Wunsch, mehr über diese außergewöhnliche Frau zu erfahren – jenseits der Sissi-Filme, jenseits des Mythos. Man möchte Dokumentationen sehen, alte Interviews nachlesen und verstehen. Vielleicht auch sich selbst ein wenig besser. Denn das ist die große Stärke dieses Abends: Er berührt nicht nur die Erinnerung an die Ikone und Filmdiva Romy Schneider – sondern auch etwas ganz Eigenes in jedem von uns. Weitere Informationen, Bilder und Videoausschnitte finden Interessierte auf der Website des Deutschen Theaters München: www.deutsches-theater.de/romy // Die Biografie "Der Fall Romy Schneider" aus dem Verlag Ullstein empfiehlt sich als spannende Anschlusslektüre.